Ein germanischer Tempel in Barmen?

Sagen und Deutungen rund um den Hohenstein

Selbst eingefleischte Wuppertaler kennen ihn nicht immer, aber durch das Internet spukt er als „germanische Kultstätte“, als die „Externsteine“ oder sogar die „Loreley“ von Barmen – der Hohenstein. In einer kleinen (aber frisch renovierten) Parkanlage über dem Nordufer der Wupper, zwischen Bogenstraße und Tannenstraße, führt die hohe Felsnadel mit der großen Aussicht über Barmen ein Schattendasein.

Doch das ist schade: Der Hohenstein ist in der Tat ein hoher Stein, eine steil aufragende Klippe aus Dolomit – also ein versteinertes Korallenriff aus dem Mitteldevon vor rund 390 Millionen Jahren, als in Deutschland Riesenlurche durch Urwälder krochen. Regen und Wind haben das alte Riff aus dem schroffen Steilhang der Wupper geschält.

Der Brocken ist nur ein Teil eines viel umfangreicheren Relikts – neben dem Hohenstein ragt ein kanzelartiger Felsblock mit eindeutigen Bearbeitungsspuren auf, und einige Schritte nördlich ziehen sich weitere, mannshohe Felsbänke. Ihre Oberkanten zeigen heute noch an, wo zur Eiszeit die Uferterrasse der Wupper verlief.

Der Hohenstein gehört zum großen Rheinisch-Westfälischen Kalkzug, der sich von Balve und Iserlohn über Schwelm und Wuppertal bis zum Neandertal zieht. Der nach dem Geologen Werner Paeckelmann (1890 bis 1953) getaufte „Geopfad Werner-Paeckelmann-Weg“ führt an dem Dolomitkoloss vorbei, ein Hinweisschild im Park erklärt seine Entstehung.

Der Park selbst stammt ursprünglich erst aus dem Jahr 1908 und wurde zum 100-jährigen Stadtjubiläum Barmens von dem Gartenarchitekten Arthur Stüting (1872 bis 1927) rund um den markanten Felsen angelegt. Die Beliebtheit der Anlage zeigt sich schon daran, dass sie zu einem populären Postkartenmotiv wurde – stets mit im Bild: der Blick vom Hohenstein auf Barmen.

Der Platz war jedoch bereits lange vor der Anlage des Parks ein beliebter Aussichtspunkt und wurde für Veranstaltungen genutzt – so etwa am 19. Oktober 1814 für die Gedenkfeier zum ersten Jahrestag der Völkerschlacht zu Leipzig. 1835 empfiehlt Johann F. Knapp in seiner „Geschichte, Statistik und Topographie der Städte Elberfeld und Barmen im Wupperthale“ die Straße Hohenstein als eine von mehreren „interessanten Punkten und Gängen“ bei Barmen.

Größere Beachtung schenkte man dem Felsklotz als solchem erst Mitte des 19. Jahrhunderts. Wilhelm Langewiesche beschrieb den Hohenstein 1863 als Aussichtspunkt, von dem aus Barmen großartiger erscheine, als es wirklich sei. Der Fels sei „ein schroffer und nackter, ziemlich großer, Felsen, dem mehrere etwas kleinere Gesellschaft leisten“. Und er mutmaßte, es handle sich um den Rest eines alten Vulkans: Er sei „vermuthlich durch vulkanische Gewalt in der Vorzeit emporgetrieben“ worden. Das machte das Riff geheimnisvoller, als es war, aber nicht jeder ist ein geologischer Experte.

Langewiesche wies auch als Erster auf die Sagen und Mythen hin, die sich um den massiven Koloss spannen: ein Schreibepult des Teufels soll er gewesen sein, eine daneben stehende kleinere Felsenkuppe werde „des Teufels Dintefass“ genannt.

Ulrich Magin

Foto: Ulrich Magin

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