Prosperos wilde Rollenspiele

Das neue alte Engelsgarten-Ensemble spielt mit dem Intendanten Thomas Braus den Beginn der Saison im Opernhaus

Leergefegt ist die Bühne unter dem dunklen Himmel des Opernhauses. Einsam steht Stefan Walz als Prospero im Kostüm eines alltäglichen Rentners. Fahrig und eilig lässt Thomas Braus als Freigeist Ariel den Nebel aus der Maschine strömen, während eine gräulich zerrupfte Schlenkerpuppe aus Sackleinen mit runden Augen am Bühnenrand sitzt und stumm vor sich hin staunt.

Regisseur Marcus Lobbes, der vor einigen Jahren avantgardistische Inszenierungen von William Shakespeares „König Lear“ und Henrik Ibsens „Baumeister Solness“ in Wuppertal erarbeitete, hat den Titel des Stücks sehr genau beachtet. Es stürmt und drängt; aber nicht illusioniert durch heulende Windgeräusche oder tragisch-dramatische Dialoge. Es stürmt und drängt eher im Spiel der jungen Ensemblemitglieder, die wie in einer alltäglichen Probe an Tischen vor der Bühne im Vorparkett sitzen, die Requisiten, wie Perücke oder Königskrone griffbereit neben der Wasserflasche.

Und wie in einem Sturm hat Regisseur Lobbes alle überflüssig scheinenden Szenen, Verzweigungen, romantische und träumerische Sequenzen weggerissen und dem Ensemble zum Rollenspiel wie einer wilden Horde übergeben. Bewusst amateurhaft zusammengesucht wirken ihre Kostüme, von Pia Marias Mackert entworfen – die flatternden zerzausten Röcke, die rutschenden Strümpfe, die zu großen oder zu engen Stiefel, die herabfallende Krone, die trotz Gummiband auf keinem Herrscherkopf halten will.

Weil auf der historischen Shakespeare-Bühne nur Männer spielten und deshalb auch Frauenrollen übernehmen mussten, werden auch diesmal Schauspielerinnen eingespart. Jonas Gruber gibt seine raue Stimme der Puppe Miranda. Aber gerade war er noch der weise Gonzalo, dem letztlich Prospero seine Rettung auf die einsame Insel verdankte. Welch ein Durcheinander!

Die Schauspieler stürzen zum Einsatz eine Treppe herauf, drohen dann beim eiligen Abgang wieder hinunterzufallen, müssen zwischendurch die Erzählungen vom schrecklichen Sturm als antiker Chor in Gemeinschaft berichten und allmählich dämmert es dem sehr konzentriert zuschauenden und zuhörenden Publikum, dass das alles ja gewollt ist.

Denn dieser Prospero, dem sein heller Geist Ariel allmählich die Bühne mit schrecklich plüschigen Stehlampen und künstlichen Palmen zuräumt, kann zwar zaubern und die vielen Figuren seiner Fantasie ihre Rollen spielen lassen, aber ihm haftet nichts Königliches an, sondern eher eine kleinbürgerliche Kleinlichkeit, mit der er die Dienstleistungen von Ariel und Caliban einfordert, damit die Gerechtigkeit wieder hergestellt wird.

Dabei verkommen die Personen Shakespeares zu urkomischen Karnevalsfiguren, und sein Traum vom Paradies der unschuldigen Inselwelt zum strahlenden Foto eines Reiseprospekts, der zum Schluss als Vorhang die grausliche Wohnzimmerbühne mit Polstersesseln, Plüschstehlampen und Grünpflanzen verdeckt.

Mitreißende Spielfreude ist diesem jungen Ensemble mit seinem neuen Intendanten, dem komisch-grotesken Thomas Braus in der Doppelrolle von Caliban und Ariel, anzumerken. Sehr stark und überzeugend zeigt Stefan Walz, so vorzüglich klassisch sprechend, den Prospero als ältlichen Strippenzieher, der sich selbst zu einem eher unglaubhaften König verwandelt und seinen berühmten Satz von den Menschen, die aus solchem Stoff wie Träume seien, nur ganz beiläufig, wie pflichtschuldig spricht – und später im Goethe-Habitus nach Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins Gemälde sich auf das Sofa legt.

Die jungen Doppelrollenspieler Alexander Peiler, Konstantin Rickert, Aaron Röll und Jonas Gruber sind köstliche junge Grobiane, die ständig aus der Rolle zu fallen drohen. Abgehetzt müssen sie den Shakespeare-Figuren hinterherjagen, sodass sich die gesamte Spielzeit auf knappe zwei Stunden verkürzt.

Was haben Marcus Lobbes und das Team des Theaters aus Shakespeare gemacht? Oder besser, was haben sie aus unseren Erwartungen von Shakespeare gemacht? Eine rabiate Zerstörung von allen Vorstellungen, die Idylle einer Traumwelt bei den Klassikern zu suchen. Es ist ein heftiger Klamauk, und den fanden die einen gut, die anderen schlimm. Aber gut gespielt war es.

Gisela Schmoeckel

Foto: Wuppertaler Bühnen/Uwe Schinkel