Auf den Spuren eines Barmers

Wo einst der Palast des Odysseus stand: Wilhelm Dörpfeld und seine Wahlheimat Nidri

Etwas kleiner und daher unauffälliger als der große, schreitende Aristotelis Onassis kommt er daher, aber seit vielen Jahren ziert auch eine Statue des Barmer Archäologen Wilhelm Dörpfeld die Uferpromenade des Touristen-örtchens Nidri auf der griechischen Insel Lefkada, dem antiken Leukas. Nach ihm ist auch die belebte Geschäftsstraße der Inselhauptstadt Lefkada benannt. Wie kommt der Mann aus Wuppertal dorthin?

Dörpfeld hat Nidri erst auf die archäologische Landkarte gesetzt und viel von seiner griechischen Wahlheimat gehalten – denn dort, und nicht auf der nahen Insel Ithaka, vermutete er den Palast und das Land des Irrfahrers und Troja-Bezwingers Odysseus, dort vermeinte er auch Reste und sogar die Grablege dessen Dynastie gefunden zu haben. Das war schon zu Dörpfelds Zeiten umstritten; heute muss man leider sagen, dass ihm die Fachwelt in keinem seiner Argumente gefolgt ist.

Wilhelm Dörpfeld kam im damals selbstständigen Barmen zur Welt, seinen Ruf erwarb er sich bei Grabungen im Mittelmeerraum. Sein Elternhaus stand in der Ortslage Bredde, dort wurde er am 26. Dezember 1853 als Sohn eines Pädagogen geboren. Zur Schule ging er in das heute nach ihm benannte Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium. Nach dem Abitur 1872 studierte er in Berlin Architektur. Dort kam er in Berührung mit archäologisch interessierten Lehrern und Kommilitonen, und bald schon faszinierten ihn die Überreste des Altertums.

Nach dem Studium verdiente Dörpfeld sich erste Sporen als Assistent des Grabungsarchitekten Richard Bohn in Olympia, dem klassischen Austragungsort der Olympischen Spiele. Bereits ein Jahr später, 1878, wurde ihm die technische Grabungsleitung übertragen – im Alter von gerade einmal 25 Jahren.

Schnell sprach sich sein Ruf als gewissenhafter und sachkundiger Kenner der griechischen Antike herum. Und so wurde Heinrich Schliemann auf ihn aufmerksam, der Selfmade-Millionär, der sich zum Ruhme des Deutschen Reichs (und seines eigenen) daran gemacht hatte, das Troja Homers zu entdecken. Er holte Dörpfeld 1882 nach Hisarlık in der Türkei, wo er seit Jahren einen Berg abgraben ließ, unter dem sich – Schicht nach Schicht – mehrere Städte befanden, deren Lebenszeiten sich von der dunkelsten Vorgeschichte bis in die recht gut bekannte Römerzeit erstreckte.

Neben Ausgrabungen in Athen und auf der mykenischen Burg von Tiryns forschte Dörpfeld in Troja, zuerst gemeinsam mit Schliemann, nach dessen Tod grub er 1890 alleine in Troja weiter, bis er von dem amerikanischen Archäologen Carl Blegen abgelöst wurde.

Aufgrund seiner genauen Beobachtungsgabe erkannte Dörpfeld rasch, dass Schliemann irrte, der gerade die monumentalsten Mauern, die sogenannte Stadt II (2550 bis 2200 v. Chr.), mit dem homerischen Troja gleichgesetzt hatte. Dörpfeld optierte für das tatsächlich aus der Bronzezeit stammende Troja VI als das Troja des Krieges. Die heutige Forschung geht wie Carl Blegen davon aus, dass es sich um die darauffolgende Schicht, Troja VIIa, handelt.

Dennoch erkannte Dörpfeld Schliemanns Irrtum als Erster, und als Erster wies er auf die genaue Beachtung der Schichtenfolge bei Ausgrabungsarbeiten hin. „Er gilt als Begründer des modernen Grabungswesens und ist einer der bekanntesten archäologischen Bauforscher überhaupt“, resümiert die Online-Enzyklopädie Wikipedia.

In seinen letzten Lebensjahren, die er überwiegend auf der Insel Lefkada verbrachte, wo er am 25. April 1940 auch starb, widmete sich Dörpfeld verschiedenen und stets umstrittenen Thesen zur Frühgeschichte der griechischen Kultur, zu Olympia und zu den Ursprüngen der mykenischen Welt. Ganz besonders aber lag ihm die Suche nach der Insel des Odysseus am Herzen.

Ulrich Magin

Foto: Ulrich Magin

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