Mehr Gelassenheit und Akzeptanz
In Wuppertal bewegt sich wieder etwas in Sachen Fahrradstadt. Mit dazu beigetragen hat unter anderem die Initiative „Critical Mass“.
Vor etwas über einem Jahr wurde das Thema „Fahrradstadt Wuppertal?“ in den Bergischen Blättern schon einmal aufgegriffen. Anlass war eine Untersuchung des Wuppertal-Instituts, unterstützt von der Mercator-Stiftung. Das Fazit lautete: „Die Entwicklung hin zu einer Fahrradstadt Wuppertal ist ein ambitioniertes Vorhaben, denn die Ausgangslage ist deutlich schlechter als in vergleichbaren Städten.“ Dabei zielte die schlechtere Ausgangslage nicht auf die Topografie, sondern die Haushaltslage der Stadt. Die hat sich bis heute nicht verändert, mit dem Fortschreiten der Arbeiten an der Nordbahntrasse, die laut Stadtverwaltung Ende des Jahres fertiggestellt sein soll, hat sich die Infrastruktur für Fahrradfahrer dennoch ein Stück weit verbessert.
Seit Mai 2012 macht zudem eine neue Initiative in Wuppertal immer mehr auf sich aufmerksam, die sich nach dem Begriff für Mindestmasse aus der Kernphysik „Critical Mass“ (kritische Masse) benennt. Was dahinter steht, hört sich zunächst ganz einfach an: „Bei einer Critical-Mass-Fahrt treffen sich Radfahrer, um zusammen durch die Stadt zu fahren“, heißt es auf den Internetseiten der Initiative. Doch was simpel klingt, hat so seine Tücken: Trafen sich bei der ersten Fahrt rund 24 Mitfahrer, so waren es bei dem letzten Treffen Anfang August 2014 über 250 Teilnehmer. Ihre Fahrt geht auch nicht über ausgewiesene Radwege, sondern über die Straßen der Stadt – egal ob mit oder ohne Fahrradwege.
Die Initiative geht von den USA aus: 1992 trafen sich erstmals Radfahrer in San Francisco zur „Critical Mass“ (CM). Berlin folgte 1997 als erste deutsche Stadt. Weil es bei den CM-Fahrten keinen Organisator gibt und jeder für sich selbst verantwortlich ist, handelt es sich bei den Treffen auch nicht um Demonstrationen – die angemeldet werden müssten. Aber: Die Initiativen bilden sich immer dort, wo das Radfahren schwierig ist. Und so nehmen in Wuppertal wie andernorts ganz normale Bürger vom Kind bis zum Rentner an den „Critical Mass“-Fahrten teil, die vor allem ein gemeinsames Ziel antreibt: Sicher auf den Straßen Radfahren zu können.
Dabei gilt die Devise: „Eine Critical Mass blockiert nicht den Verkehr, sie ist Verkehr“. Die amerikanischen Begründer dieser Idee haben sich am chinesischen beziehungsweise asiatischen Verkehr ohne Signalanlagen orientiert: Dort warten Rad-, Roller- und Autofahrer an Kreuzungen so lange, bis sich eine gewisse Anzahl eingefunden hat, die sich dann gemeinsam in Bewegung setzt. An den anderen Einmündungen wird gewartet – bis ebenfalls eine kritische Masse an Verkehrsteilnehmern erreicht ist.
Fahrradverbände?!
In Deutschland müssen Radfahrer auf der Straße fahren, der Bürgersteig ist für sie tabu. Laut Straßenverkehrsordnung (Paragraf 27, Absatz 1) dürfen mehr als 15 Radfahrer mit der gleichen Richtung (dem gleichen Ziel) auch einen Verband bilden. Das heißt, dass bei mehr als 15 Radfahrern zu zweit nebeneinander gefahren werden darf – die Fahrer also eine komplette Fahrspur einnehmen können – auch wenn es einen Radweg geben sollte. Der Verband darf jedoch nur eine Spur besetzen, sodass andere Verkehrsteilnehmer die zweite Spur nutzen können, wenn sie denn vorhanden ist.
Dabei muss der Verband jedoch erkennbar sein, darf es keine großen Lücken geben. Dann wird er wie ein langes Fahrzeug behandelt. Das bedeutet dann auch, dass der letzte Fahrer des Verbandes noch über eine Kreuzung fahren darf, auch wenn die Ampel bereits rot signalisiert. Gleiches gilt beim Abbiegen: Die Lücke muss so groß sein, dass der gesamte Verband abbiegen kann, ohne den restlichen Verkehr zu stören.
Lesen Sie weiter in der Ausgabe 17.2014, die am 30. August erscheint.
Foto: Michael Mutzberg