Eingeweiht: 1939
Das Löwendenkmal vor dem Remscheider Rathaus
Löwendenkmäler sind als Symbolträger von Macht und Stärke eines Staates oder einer Stadt sehr beliebt. Berühmte Beispiele der Kunstgeschichte finden sich in Braunschweig und Venedig. Auch in Wuppertal-Elberfeld präsentieren sich Bronzestatuen des Königs der Tiere vor der früheren Eisenbahn-Direktion am Döppersberg, ein Bronzelöwe wurde auf dem Willy-Brandt-Platz an der Rückseite des Rathauses aufgestellt. Diese Figuren wirken neben dem 13,50 Meter hohen Löwendenkmal auf dem Remscheider Rathausplatz eher klein und zierlich. Als „Bergischer Löwe“ reckt der Remscheider sein mächtiges, etwas überlängtes Haupt aus grauem Muschelkalk (Trias-Erdzeitalter) eher furchterregend in den oft umwölkten Remscheider Himmel.
Alle diese Löwenfiguren, auch die hübsch angemalten, verspielten und lustigen der Remscheider Löwenparade im Jahr 2014, sind jedoch keine „bergischen“ Löwen. Der echte bergische Löwe ist im Herzogtum Berg seit 1225 ein doppelschwänziges Wappentier. Nach dem Meuchelmord am Kölner Erzbischof Engelbert, dem letzten Grafen von Berg, im Jahr 1225 fiel die Grafschaft Berg bis 1348 an das Fürstenhaus Limburg an der Maas, das als Wappentier einen zweischwänzigen Löwen führt. Historiker vermuten, dass die Herzöge seit 1214 auch Grafen von Luxemburg wurden. Limburg und Luxemburg führten beide den Löwen im Wappen; dieser Doppelbesitz wird im Wappen als Zweierschwanz kundgetan.
Das Remscheider Wappen zeigt ihn mit einer Sichel, in Wuppertal mit dem Rost des Heiligen Laurentius, in Lüttringhausen mit dem Kreuz der Kreuzbrüder des Klosters Beyenburg und einem Zinnenkranz, in Cronenberg mit Sensenklinge. Der Bergische Löwe steht aufrecht, mit spielerisch erhobenen Vorderpfoten. Parallel zu seinem Rücken bilden die Spitzen seiner beiden Schwänze fast eine tänzerische Bewegung – nichts hat dieses höfische Wappentier gemeinsam mit der martialischen Gefährlichkeit des Remscheider Denkmal-Löwens.
1906 weihten die Remscheider auf dem Kaiserplatz das große, prächtige Rathaus im Neo-Renaissance-Stil ein. Ihm gegenüber an der Ostseite des Platzes errichtete die Stadtsparkasse 32 Jahre später einen dreigeschossigen, langgestreckten Neubau ganz im gleichförmigen, schmucklosen Stil der nationalsozialistischen Architektur. Ein Jahr zuvor schon hatte Oberbürgermeister Walther Hartmann (1873 bis 1964) in einer Ratsversammlung die Idee geäußert, eine Löwenstatue auf den Platz vor dem Rathaus aufzustellen.
Nach dem Rücktritt von Hartmann, der seit 1914 erst Bürgermeister, nach der Vergrößerung der Stadt im Jahr 1929 bis 1937 Oberbürgermeister war, konnte sein Nachfolger Ludwig Kraft am 1. Mai 1939 das Löwendenkmal bei einer in den Zeitungen „vorbildlich“ genannten, nationalsozialistischen Massenkundgebung einweihen.
Zwischenzeitlich war aus dem 1921 in Rathausplatz umbenannten Kaiserplatz der Adolf-Hitler-Platz geworden, auf dem sich nun 27.000 Parteimitglieder der einzelnen NSDAP-Ortsgruppen versammelt hatten. Ein Fanfarenzug der Hitlerjugend und die Kapelle der „Bergischen Stahlindustrie“ begleiteten die Zeremonie mit Musik.
Nach dem Marsch „Volk ans Gewehr“ wurde das Denkmal enthüllt und sechs neue Fahnen der „Deutschen Arbeitsfront“ geweiht. Abends feierte Remscheid die neue Platzgestaltung mit Feuerwerk und Pechfackeln. Auf dem Denkmalsockel fand sich die Inschrift eingemeißelt: „Dem Schöpfer des Großdeutschen Reiches in Dankbarkeit. 1. Mai 1939“.
In der Zeitung wurde das monumentale Denkmal als „erdentwachsen“ bezeichnet. Der Löwe sollte ein „Sinnbild der Kraft und Wachsamkeit“ sein. Dieser „bergische“ Löwe war als Monument des Hitler-Deutschlands gedacht, das „die Bewohner unserer Stadt allezeit an die Großtaten des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler“ erinnern sollte (RGA vom 11. März 1939).
Die Figur selbst ist über dreieinhalb Meter hoch, ihre Massigkeit und ihre monumentale Wirkung verstärkt die reliefartige Erhaltung der Steinwand zwischen ihren Beinen – dieser Löwe ist in den Außenformen frei aus dem Stein gemeißelt, bleibt aber fest mit ihm durch die Undurchsichtigkeit des Reliefs verbunden und wirkt dadurch statisch und massig.
Die Remscheider Löwenfigur entspricht in ihrer Form genau dem Stil des Monumentalen, der von den Nationalsozialisten für Skulpturen im Öffentlichen Raum bevorzugt wurde. In seinem Buch über „Die deutsche Plastik der Gegenwart“ schrieb Bruno E. Werner im Jahr 1940 über die Forderung nach einem der nationalsozialistischen Monumentalarchitektur angemessenen Skulpturenschmuck. Als Beispiele dieses „neuen“ Bauwollens nennt er die Bauten des Reichssportfeldes für die Olympischen Spiele 1936, das Reichsparteitagsgelände und die Reichsautobahnen. „Die Übermacht dieser, gewaltige Formate ergreifenden, nationalsozialistischen Architektur, die die neue Weltanschauung eines 80 Millionenvolkes repräsentieren will, mußte stimmführend für die Wahl und Art der plastischen Bildwerke sein.“ Die Bildwerke sollten dem „nordischen Rassegedanken“ entsprechen.
Der Bildhauer Willy Meller
Das Remscheider Denkmal hat der damals sehr bekannte Kölner Bildhauer Willy Meller (1887 bis 1974) geschaffen, der mit seinen Monumentalplastiken am Reichssportfeld im monumentalen Reliefstil zu einem der von Hitler bevorzugten Bildhauern – neben Arno Breker und Josef Thorak – geworden war. Eine riesenhafte Figur einer Siegesgöttin, auch sie im Rücken mit dem Steinblock verbunden, aus dem sie Meller arbeitete, stand am Eingang der Übungsanlagen des Reichssportfeldes.
Bis heute steht im Gelände der Ordensburg Vogelsang in der Eifel sein athletischer Fackelträger vor einer Riesenmauer am „Sonnenwendplatz“ der Nazizeit. Auch an der Figur eines Adlers im Hof der Ordensburg ist der Wille zur Monumentalisierung abzulesen. In ihr werden die Proportionen der Figuren etwas übermäßig gewichtet, ihre Gliederung vereinfacht und ihre Oberflächen geglättet. Diese Monumentalisierung wirkt auch bei Figuren, die Bewegung zeigen, immer sehr statisch – und dadurch die Umgebung machtvoll beherrschend.
Willy Meller wurde 1887 in Köln geboren. Nach einer Lehrzeit in einer Bildhauerwerkstatt besuchte er die Kunstgewerbeschule in Köln und studierte von 1911 bis 1914 an der Akademie in München in der Bildhauerklasse von Erwin Kurz, einem Schüler des neoklassizistischen Bildhauers Adolf von Hildebrand.
Nach seiner Kriegsteilnahme kam er 1918 nach Köln zurück und arbeitete für die bekannten Kölner Architekten Paul Bonatz und Clemens Klotz. Er erhielt Aufträge für Ehrenmale. Das Pathos seines Kriegerdenkmals „Erwachender“ für Lüdenscheid aus dem Jahr 1935 wurde von nationalsozialistischer Seite als Zeichen für die „Wiederauferstehung“ des deutschen Volkes gedeutet. Seit 1933 arbeitete er vor allem für die nationalsozialistische Partei, für Staat und Wehrmacht.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt er Aufträge von privater Seite und aus der Industrie. Er schuf 1955 ein Mahnmal für die Opfer des Krieges in Gütersloh und 1962 eins in Oberhausen. Am Düsseldorfer Marktplatz steht sein Gänsebrunnen aus dem Jahr 1956. Die Kunst- und Museumsbibliothek der Stadt Köln bereitet zurzeit eine Ausstellung über „Willy Meller, ein Künstler zwischen Diktatur und Demokratie“ vor (27. Juni bis 10. August 2014).
Bombenhagel überstanden
Das Remscheider Löwendenkmal erwies sich als äußerst haltbar. Selbst der entsetzliche Bombenangriff in der Nacht vom 30. auf den 31. Juli 1943 konnte ihm nichts anhaben. Eine Fotografie im Stadtarchiv Remscheid zeigt ihn unversehrt vor der Rathausruine. Erst 1962 war der Wiederaufbau des Rathauses vollendet. Am 19. Dezember 1966 feierten die Remscheider ein neues großes Fest rund um das Löwendenkmal, als der Rathausplatz in Theodor-Heuss-Platz umbenannt wurde. Die alte Inschrift auf der Rückseite des hohen Denkmalsockels wurde nach dem Krieg geändert: Heute lautet sie „Bergischer Löwe. Wappentier des Bergischen Landes seit dem Jahre 1225“ – was immer noch nicht stimmt, denn der „Bergische“ müsste den Doppelschwanz haben und auf seinen Hinterpfoten tänzeln.
Gisela Schmoeckel
Foto: Eckhart Schmoeckel