Eigentlich gilt die Kommunalwahl als das bessere Zugpferd, um Menschen an die Urne zu bekommen, als dies bei der Europawahl der Fall ist. Und so haben im Vorfeld viele Experten gesagt, dass sie erwarten, gut zehn Prozent mehr Wähler in den Wahllokalen für die EU-Wahl anzutreffen als ohne eine Kopplung mit der Kommunalwahl.
Doch was ist passiert? In den meisten NRW-Städten gingen nicht einmal die Hälfte der Berechtigten zur Wahl – im bergischen Städtedreieck war das ebenfalls so. Doch an der Wahl zum Europäischen Parlament hat es diesmal nicht gelegen: Nicht nur in Wuppertal, Solingen und Remscheid, sondern auch in Düsseldorf, Köln und Essen haben sich mehr Menschen an der Europawahl beteiligt als an den Kommunalwahlen. Doch woran liegt das?
Hans Joachim Lietzmann, Professor für Politikwissenschaften und Europäische Studien an der Bergischen Universität, hat eine ganz einfache Erklärung: „Weil Europa wichtiger ist“. Das hören wir zwar gebetsmühlenartig überall, und zwar vor allem mit dem Hinweis darauf, dass bis zu 70 Prozent der Entscheidungen in den Städten und Gemeinden Umsetzungen von EU-Richtlinien sind – dass das aber beim Wähler angekommen ist, war offensichtlich vielen nicht bewusst. Lietzmann hält dies für eine „kluge Entscheidung“ der Wähler und bescheinigt der Kommunalwahl im Vergleich sogar eine „gewisse Niedlichkeit“, denn angesichts leerer Kassen hätten Stadtparlamente und Oberbürgermeister kaum noch etwas zu entscheiden. Sie könnten nur eine gute oder böse Miene zum Spiel machen, das die Regierungen in Brüssel spielen, so Lietzmann.
Ich komme dennoch nicht umhin, mich zu fragen, was jemanden bewegt, zur Wahl zu gehen, dann aber nur den Zettel mit den Europa-Abgeordneten in die Urne zu werfen? Das ist dann ja schon eine bewusste Entscheidung. Aber sollte ich mich nicht dennoch ebenso bewusst für meinen Oberbürgermeister und die Vertreter im Stadtrat entscheiden?
Auch dafür hat Lietzmann eine Erklärung: In den USA werde in den Kommunen viel gewählt, zum Beispiel auch der Staatsanwalt und Polizeichef. Gehen viele Bürger zur Wahl, gelte das als Zeichen der Krise. Vergleiche man das mit Europa, hätten die Eurokrise und die Flüchtlingspolitik die Menschen zur Wahl bewegt.