Eine boomende Stadt

Anfang Februar 2018 verbrachten wir einen Tag in Wuppertals israelischer Partnerstadt Beer Sheva

Im vergangenem Jahr feierten die Städte Wuppertal und Beer Sheva in Israel ihre 40-jährige Partnerschaft. Das ist vielleicht kein ganz runder Geburtstag, aber immerhin doch ein guter Anlass, sich einmal anzuschauen, worüber man schon öfter geschrieben hat.

Die Insolvenz der Fluggesellschaft „AirBerlin“ machte uns im eigentlichen Jubiläumsjahr einen Strich durch die Rechnung – aber jetzt war es so weit. Tatkräftige Unterstützung bekamen wir dabei von Arno Gerlach, Vorsitzender des Freundeskreises auf der Wuppertaler Seite, und auf der israelischen Seite von Irith Ovadia-Alsberg, Vorsitzende des Freundeskreises dort.

Israel wurde 1948 gegründet, ist also selbst erst 70 Jahre alt. Das macht die Partnerschaft zwischen Wuppertal und Beer Sheva, die 1977 geschlossen wurde, noch ein bisschen bedeutender. Und wenn man weiß, wie sehr die Vertreter der israelischen Regierung miteinander gerungen haben, bevor 1965 diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wurden, erscheinen 40 Jahre dann doch als besondere Zahl.

Auch in Beer Sheva gab es nach Erzählungen Arno Gerlachs Widerstand und Diskussionen, bevor die Städtepartnerschaft geschlossen wurde. Wer den Holocaust er- und überlebt hat, wollte sich nicht zwingend mit dem „neuen“ Deutschland beschäftigen.

Bei Irith Ovadia-Alsberg war das anders. Ihre Eltern, der Staatsarchivar Paul Alsberg und seine Frau Betty, beide in Wuppertal aufgewachsen, verließen die Stadt in jungen Jahren, nachdem Paul Alsberg bereits verhaftet und nach Buchenwald verschleppt worden war. Für ihn sei es wichtig gewesen, den Kontakt mit Deutschland zu halten und gegen das Vergessen zu kämpfen – was er seiner Tochter weitergegeben hat.

Als Mitarbeiterin der Stadtverwaltung in Beer Sheva kümmerte sie sich um auswärtige Beziehungen und den Tourismus. Den Vorsitz des Städtepartnerschaftsvereins hat sie bis heute inne, obwohl sie nun nicht mehr in der Stadt beziehungsweise dem kleinen Nebenort Omer wohnt.

In den 1980er und 90er Jahren, als in Wuppertal der Städtepartnerschaftsverein gegründet wurde (1983, der in Beer Sheva folgte 1991), hatte Israel andere Sorgen. Über eine Million Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, aus Osteuropa und Äthiopien mussten integriert werden. Viele davon kamen auch nach Beer Sheva. Heute leben Menschen aus 56 verschiedenen Ländern in der Stadt, berichtet Ovadia-Alsberg.

Fast 60 Prozent davon seien Juden, aber Beer Sheva sei eine offene Stadt für alle, betont deren stellvertretender Bürgermeister Tal El Al (und damit Vertreter von Ruvik Danilovich). Er sieht das Zusammenleben so vieler unterschiedlicher Menschen nach eigener Angabe auch weniger als Problem denn vielmehr als Herausforderung. Bei der jungen Generation sei das noch einfacher. So hätten seine beiden Töchter und der Sohn ganz selbstverständlich auch arabische Freunde.

Daneben war das Land – und ist es bis heute – mit dem Friedensprozess beschäftigt, der 1979 mit dem ägyptisch-israelischen Friedensvertrag begonnen hatte. Bei dem spielte im übrigen auch Beer Sheva eine Rolle. Zwar hielt der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat seine Rede in der Knesset in Jerusalem, wollte dann aber nach Beer Sheva reisen: Schon in der Bibel wird Beer Sheva als Ort beschrieben, an dem Abraham – den Juden, Christen und Moslems als den Urvater ihrer Religionen ansehen – mit dem damals herrschenden König Abimelech einen Schwur schloss, sich nicht um das rare Wasser zu streiten. Denn Abraham hatte einen Brunnen gegraben, der heute noch – in ein Museum eingebettet – in Beer Sheva zu sehen ist. Beer Sheva bedeutet im übrigen auch „Brunnen der Sieben“, weil Abraham dem König sieben Lämmer schenkte, beziehungsweise „Brunnen des Schwurs“.

Das Wasser kommt aus den Bergen von Hebron, wo etwa viermal mehr Regen fällt. Insgesamt wurden in der Gegend um die 200 Brunnen gebaut, aber nur von dem einen trugen die Normaden die Geschichte Abrahams weiter. Heute ist das Wasser jedoch verunreinigt.

Sadat soll in Beer Sheva gesagt haben „Abraham war mein und Euer Vater.“ Eine Kopie der Urkunde mit den Unterschriften von Sadat, dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin und vielen anderen hängt heute im Stadthaus vor dem Saal, in dem sich die Stadtverordneten in Beer Sheva treffen.

Lange war und blieb Beer Sheva eine Stadt, die von der Negev-Wüste und den dortigen Beduinen geprägt war. Als sie vor 50 Jahren in die Stadt kam, sei dort im wahrsten Sinne des Wortes noch alles Wüste gewesen, berichtet Irith Ovadia-Alsberg. Deshalb weigerte sich der Bildhauer Dani Karavan, der das Wahrzeichen der Stadt, die Gedenkstätte der Negev-Brigade (siehe Titelbild), geschaffen hat, auch, seine Kunst in Grün einzubetten, so Ovadia-Alsberg. Es sollte an die Wüste erinnern und Wüste bleiben.

Doch mit dem Ausbau der Universität veränderte sich auch die Stadt. Der Campus der 1967 gegründeten Ben-Gurion-Universität des Negev, wie sie offiziell heißt, wird stets erweitert. Heute studieren dort und an weiteren Colleges rund 25.000 junge Menschen. Daneben soll die Stadt selbst zum High-Tech-Standort ausgebaut werden, wie Tal El Al berichtet. Davor stand zunächst die Idee, der Stadt mit vielen verschiedenen Stadtteilen zu einer kompakteren Struktur zu verhelfen, die Grundlage für eine bessere wirtschaftliche Entwicklung sein sollte. Vor gut acht Jahren setzte sich so die Verwaltung mit Fachleuten zusammen, um zu beraten, wie sie am besten zu entwickeln sei. Aus den Ideen und Vorschlägen wurde eine langfristige Strategie entwickelt, so Tal El Al.

Im Mittelpunkt stand dabei die Schaffung qualitativ hochwertiger Arbeitsplätze, um die Jungen in der Stadt halten zu können. Was sich viele Städte wünschen, ging in Beer Sheva auf: Hätte die Stadt vor vier Jahren noch so gut wie keine Arbeitsangebote in diesem Sinne machen können, könne man heute auf rund 2.000 Mitarbeiter verweisen, die in einem neu gebauten High-Tech-Park, der Universität und dem Krankenhaus entstanden sind. Dabei handele es sich nicht um Fertigungen, sondern um reine Forschung und Entwicklung, so der stellvertretende Bürgermeister.

Aber wie hat Beer Sheva das geschafft? Tal El Al glaubt, dass das Geheimnis in der guten Zusammenarbeit zwischen Stadt, Universität, dem Krankenhaus und der Wirtschaft liege, die mit Unterstützung der israelischen Regierung an einem Strang gezogen hätten. So gehöre der Technologiepark zum Beispiel allen genannten Einrichtungen. Das sei auch für Israel etwas Besonderes.

Hilfestellung kam zudem vom Militär, das in der Stadt sein „National Cyber Bureau“ erreichtet habe, was als Initialzündung für weitere Ansiedlungen gewirkt habe. So gäbe es inzwischen sogar Standorte von Google und IBM in der Stadt. Das erste Unternehmen sei jedoch die Deutsche Telekom gewesen, so El Al. Nun kämen immer wieder Start-ups hinzu, derzeit seien es um die 50. Platz für weitere 20 sei gerade erst geschaffen worden.

Heute hat die Stadt rund 220.000 Einwohner, mit dem Umland mit Bauern, Beduinen und Kibbuzen, für die Beer Sheva eine große Rolle mit seinen Krankenhäusern, Schulen, der Universität und weiterer, auch kultureller Infrastruktur spielt, sind es rund eine Million Einwohner. Das sei im Umkehrschluss auch der Grund, warum die Infrastruktur in der Stadt so gut sei, berichtet El Al. Dabei konnte sich die Stadt ringförmig um den alten Kern ausweiten, weil weder Berge noch Seen natürliche Hindernisse bilden.

Wie in ganz Israel seien hohe Immobilien- und Mietpreise auch in Beer Sheva ein Problem, sodass für junge Familien nun erst ein Bereich angelegt wird, in dem sich diese zu fairen Preisen ansiedeln können. Aber: Wo ebenfalls ein Wohngebiet geplant war, soll nun eine Art Wald entstehen. Die Pflanzen seien bereits angelegt, berichtet der stellvertretende Bürgermeister. Umweltschutz und Nachhaltigkeit spielen eben auch im wasserarmen Süden eine immer wichtigere Rolle.

Dennoch: Sowohl Irith Ovadia-Alsberg als auch ihr Wuppertaler Pendant Arno Gerlach sagen es mit dem gleichen Satz: „Es wird gebaut wie verrückt!“ Das kommt nicht von ungefähr, denn vor zehn Jahre hatte die Stadt noch rund 35.500 Einwohner weniger.

Auch in die Infrastruktur wird dabei investiert. So bekommen neue Wohngebiete nicht nur eine gute Straßenanbindung, sondern meist auch einen Kindergarten und eine Schule. Ein großer Sportkomplex wurde errichtet und für Kinder das „Lunada Kinder-Museum“, das in einem großen Gebäude und einem weiträumigen Außengelände zum Spielen, Toben, Kennenlernen und Lernen einlädt. Ein bisschen fühlt man sich dabei an die Wuppertaler Junior-Uni erinnert.

Heute ist Beer Sheva erstaunlich Grün: Das Wasser für die Begrünung an vielen Plätzen der Stadt stamme dabei zum Großteil aus aufbereitetem Abwasser, berichtet El Al. Die Versorgung mit Trinkwasser geschieht wie fast überall in Israel über Regen (wobei es in Beer Sheva nur knapp 30 Tage im Jahr regnet) und den See Genezareth. 1964 wurde die Leitung fertiggestellt, um das Wasser vom Norden in die südlichen Landesteile zu transportieren. Der See Genezareth wird seinerseits durch den Jordan gespeist.

Einer dieser begrünten Plätze ist der Wuppertal-Square, der an die Partnerstadt erinnert. Dabei spielt jedoch weniger das Grün als vielmehr eine Konstruktion als Schattenspender eine Rolle, die an die Schwebebahn beziehungsweise an ihr Gerüst erinnern soll. Der Platz wurde Ende der 1990er Jahre gebaut und in Anwesenheit vieler ehemaliger Wuppertaler wie Paul und Betty Alsberg eingeweiht.

Partnerschaft// Am 29. September 1977 unterzeichneten die Städte Beer Sheva und Wuppertal als erste Städte beider Länder einen Partnerschaftsvertrag. Im November 1983 wurde der Freundeskreis Wuppertal-Beer Sheva gegründet, im November 1991 das israelische Pendant. Die Partnerschaft ging auf Initiative der Wuppertaler Politiker Rolf Krumsiek, Gottfried Gurland und Arno Gerlach zurück. Letzterer gründete auch den Freundschaftsverein. Für sein Engagement wurde Arno Gerlach im Juli 2017 der Ehrenring der Stadt Wuppertal verliehen. Die Partnerschaft lebt heute vor allem vom Austausch zwischen Schülern, Musikern, Sportlern und der Polizei.

Israel// Israel hat etwa 7,6 Millionen Einwohner, wovon 5,7 Millionen Juden und 1,5 Millionen Araber sind. Das Land ist gut 470 Kilometer lang, an der breitesten Stelle 135 Kilometer. Es grenzt an den Libanon, Syrien, Jordanien, Ägypten und das Mittelmeer. Die Negev-Wüste macht etwa die Hälfte der Gesamtfläche aus, beherbergt aber nur gut acht Prozent der Bevölkerung.

Dani Karavan// Das Wahrzeichen von Beer Sheva ist die Gedenkstätte der Negev-Brigade, die der 1930 in Tel Aviv geborene Bildhauer Dani Karavan geschaffen hat. Weit über Israel hinaus bekannt wurde er für seine Landmarken sowie Bühnenbilder, unter anderem für die Martha Graham Dance Company. Seine Werke finden sich in Israel und Frankreich, aber auch in Deutschland, etwa in Nürnberg, Berlin, Duisburg, Köln und in Düsseldorf vor dem Landtag. Mit seiner mehrteiligen Skulptur in Beer Sheva, die zwischen 1963 und 1968 entstanden ist, erinnert er an die Gefallenen der Negev-Brigade im Unabhängigkeitskrieg 1948. Sie besteht aus Beton und gilt als bedeutendes Werk der minimalistischen Kunst.

Solingen// Solingen verbindet eine Partnerschaft mit der israelischen Stadt Ness Ziona. Zuletzt war im Oktober 2017 eine Delegation unter der Leitung von Oberbürgermeister Tim Kurzbach dort. In Ness Ziona wurden vor allem Start-ups besucht. Eines davon beschäftigt sich wie die deutsche Partnerstadt mit 3D-Druck-Verfahren. Eine Kooperation mit dem Solinger 3D-Netzwerk wurde bereits angedacht. Bürgermeister Yossi Shvo, seit 25 Jahren im Amt und Träger des Solinger Ehrenrings, kündigte an, eine Delegation von Unternehmen aus seiner Stadt zu einem Gegenbesuch zu entsenden.

Paul und Betty Alsberg// Paul und Betty Alsberg haben im März 2006 Florian Kempf, Freiwilliger der Aktion Sühnezeichen, ein Interview über ihr Leben gegeben, das dieser aufgezeichnet hat. Nachzulesen ist es auf der Internetseite der Vereinigung der Israelis mitteleuropäischer Herkunft. Paul Alsberg wurde 1919 in Elberfeld geboren, Betty Keschner 1920 in Hattingen. Ihre Familie zog jedoch schnell nach Elberfeld um, wo ihr Vater ein Möbelgeschäft hatte. Pauls Vater gehörte ein Bettengeschäft in Elberfeld. Sie lernten sich jedoch erst in Breslau richtig kennen, wohin ihr Rabbiner sie geschickt hatte, damit sie am dortigen Rabbiner-Seminar hebräisch lernen sollten. Denn dass sie (bisher unabhängig voneinander) nach Palästina auswandern sollten, stand schon fest. 1937 gingen sie nach Breslau – bis zum 10. November 1938. Auch das Seminar wurde im Zuge der Pogromnacht geschlossen und Paul Alsberg wie andere Studierende verhaftet und nach Buchenwald geschickt. Während Paul zunächst im Steinbruch arbeiten musste und dann schwer erkrankte, tat Betty alles, um ihn aus dem Konzentrationslager herauszuholen. Hilfe bekam sie von Pauls Bruder, der bereits in Haifa lebte und ein Zertifikat organisieren konnte, das bescheinigte, dass Paul an der hebräischen Universität in Jerusalem einen Studienplatz und er zudem eine Fahrkarte für eine Schiffsüberfahrt von Venedig nach Haifa hatte. Betty selbst konnte ein Besuchsvisum des englischen Konsuls vorweisen. In Jerusalem studierte Paul Alsberg Geschichte und romanische Philologie, Betty Keschner am Lehrer-Seminar. Während er sein Studium 1942 mit dem Master beenden konnte, entschloss sie sich auch aus Geldmangel, Krankenschwester zu werden. Eine Lehrerstelle bekam Paul nicht, sondern schlug sich gemeinsam mit einem befreundeten Schreiner mit einer kleinen Möbelfabrikatur durch. Im März 1942 heirateten Betty und Paul. Kurz darauf konnten Pauls Mutter und Schwester über den Umweg Singapur und Bombay nach Palästina ausreisen. Bettys Eltern konnten sich zunächst nach Luxemburg retten, um dann ebenfalls später nach Palästina ausreisen zu können. 1946 wurde Alsbergs Tochter Irith geboren. Ein Sohn fiel im Jom-Kippur-Krieg 1973. Nach dem Unabhängigkeitskrieg und der Staatsgründung Israels arbeitete Paul Alsberg seit März 1949 im Zionistischen Archiv, an dem er auch promovieren konnte. 1957 wechselte er zum israelischen Staatsarchiv und wurde 1970 israelischer Staatsarchivar. Daneben bildete er Archivare an der Universität aus, war Mitarbeiter in der Gedenkstätte Yad Vashem und Nachlassverwalter von Else Lasker-Schüler. Paul Alsberg starb 2006 in Omer nahe Beer Sheva. Betty Alsberg starb 2012.

Silke Nasemann

Foto: Stadtverwaltung Beer Sheva/Israel