65 Jahre Stangen-Taxi

Oberleitungsbusse haben in Deutschland einmal Fahrgäste in mehr als 70 Städten transportiert. Heute sind es nur noch drei: Eberswalde in Brandenburg, Esslingen am Neckar und Solingen.

Das Solinger Netz darf als das größte gelten, und die Solinger lieben ihr „Stangen-Taxi“ so sehr, dass es sogar einen eigenen Verein gibt, der auch ein Museum betreibt. Das Obus-Museum Solingen ist aber keine ortsgebundene Ausstellungshalle, sondern ein bewegliches und aktives Schaustück; denn mit den historischen Fahrzeugen kann die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes erfahren werden.

Immer am zweiten Sonntag im Monat geht es mit dem historischen Obus auf „Rittertour“, eine Stadtrundfahrt vom Hauptbahnhof über Wald, Central, Mitte, Burg sowie Merscheid und zurück nach Ohligs. An jeder Haltestelle können die Fahrgäste zusteigen – und das kos-tenlos. „Wir bitten aber um eine kleine Spende für unseren Verein“, sagt Peter Hoffmann, der Erste Vorsitzende. „Da kann jeder, der möchte, das geben, was ihm die Fahrt mit uns wert ist.“

Viel Liebe und Engagement stecken die rund 100 Vereinsmitglieder in die Restaurierung der Fahrzeuge. Besonders aktiv sind etwa zehn Mitglieder, je nach Zeit. So lässt es sich Frank Zimmermann, der in Kiel lebt, zum Beispiel nicht nehmen, wenn er auf Heimat-Urlaub ist, im Obus-Museum zu arbeiten. Daniel Kistner gehört zum Nachwuchs im Verein. Als er letztes Jahr volljährig wurde, durfte er endlich als Schaffner eingesetzt werden – heiß ersehnt von dem jungen Mann, der mit Begeisterung dabei ist und ein Faible für die Oldtimer entwickelt hat. Sogar aus der Landeshauptstadt Düsseldorf kommen Mitglieder: Klaus Reiners hat die Liebe zu Bussen über seinen Pflegesohn entdeckt. Beide sind dem Solinger Verein sofort beigetreten.

Für den Verein ist es gar nicht so einfach, den Betrieb aufrechtzuerhalten, gerade weil das Obus-System vielerorts schon in den 1960er Jahren wieder abgeschafft wurde. Ersatzteile für historische Fahrzeuge und -Infrastruktur sind entsprechend schwer zu beschaffen. Dass es ein Fehler war, auf die billiger scheinenden Dieselbusse umzusteigen, merken die betroffenen Kommunen erst heute. Denn die Treibstoffpreise und erst recht die Umwelt-Eigenschaften sprechen jetzt wieder für die Trolleys.

Fünf Fahrzeuge hat der Obus-Verein in seinem Besitz, darunter einen Anhänger und einen Turmwagen, der für die Reparatur der Oberleitungen benötigt wird. Mit dem Anhänger verknüpft Peter Hoffmann schöne Kindheitserinnerungen: „Ich wollte als Junge immer in den Anhänger einsteigen, zum Leidwesen meiner Mutter. Mein Lieblingsplatz war vorne rechts.“ Warum seine Mutter nicht davon begeistert war? Ganz einfach und heute kaum noch vorstellbar: Im Anhänger durfte geraucht werden. „Oft hingen dicke Rauchschwaden im hinteren Wagen“, erinnert sich Hoffmann. „Der Schaffner wedelte mit den Händen, wenn er hinten zustieg.“

Der Anhänger soll zum großen Obus-Jubiläums-Fest am 25. Juni 2017 präsentiert werden. „Wir hoffen, dass wir bis dann die Personenzulassung bekommen, damit wir den Wagen auch einsetzen können.“

Da die alten Busse vor Jahrzehnten schon ausgemustert und teilweise verkauft, teilweise verschenkt wurden, ist es heute nicht nur mit großen Umständen, sondern auch mit hohen Kosten verbunden, die Oldtimer wieder zu besorgen und instand zu setzen. Einen Bus hat der Verein aus Mendoza in Argentinien zurückgeholt. Dorthin waren die Busse der exklusiv für Solingen gebauten TS-Baureihe 1988 verkauft worden. Sie waren bis 2010 im täglichen Einsatz.

Dem Verein gelang es 2014, einen Obus dieses Typs – oder was davon übrig war – zurückzuholen. „Die Argentinier haben uns den Bus geschenkt, aber allein die Transportkosten betrugen 20.000 Euro“, erklärt Peter Hoffmann. „Jetzt bemühen wir uns, von den anderen Bussen wenigstens Teile für unser Ersatzteillager zu bekommen.“ Ersatzteile sind nämlich ungeheuer wichtig für den Verein, da es keine Massenproduktion von Obussen gibt. Alles muss extra angefertigt werden.

Ruth Hoffmann

Foto: Ruth Hoffmann

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