Was geschah in Minsk?

Die beiden Wuppertaler Roswitha Dasch und Manfred Brusten tragen mit dazu bei, dass die Opfer des Nationalsozialismus aus dem Bergischen Land, die in Weißrussland ermordet wurden, nicht vergessen werden

Auschwitz, Majdanek, Treblinka – diese Orte haben traurige Berühmtheit erlangt, weil in ihnen die schlimmsten Vernichtungsstätten des Nationalsozialismus errichtet wurden. In Deutschland sind alle drei ebenso bekannt wie Theresienstadt. In dieser Aufzählung fehlt jedoch oftmals bis heute Maly Trostenez in der Nähe der weißrussischen Hauptstadt Minsk. Warum das so ist, ist kaum zu erklären, denn dort wurden mindestens 60.000 Menschen ermordet. Weißrussland (Belarus) selbst spricht von 206.500 Toten aus acht Ländern rund um diese kleine Stadt.
Vielleicht liegt das Vergessen am Kalten Krieg, denn erst mit dem Fall der Mauer wurde dieser Vernichtungsort in der westlichen Welt ernsthaft in der Forschung aufgegriffen. Aber es passte zunächst auch nicht ins Bild der stalinistischen Sowjetunion, dass die Nazis den Siegerstaat mit der Verfolgung von Menschen, Zwangsarbeit und Kriegsgefangenen überrollt hatte – all das wurde verschwiegen. Und so waren die Massenmorde in Weißrussland zum Beispiel kein Thema bei den ersten Nürnberger Prozessen. Auch später endete die Spur des Grauens deshalb für die meisten in Polen.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass in Maly Trostenez nur Gedenksteine beziehungsweise Obelisken an die Morde erinnern, und kein Zentrum zum genaueren Hinsehen und zur Forschung einlädt. Seit 1963 steht ein Obelisk an der Stelle, wo früher das Lager war, zwei Jahre später wurde ein weiterer dort errichtet, wo eine Scheune stand, in die 6.500 Menschen gepfercht, erschossen und anschließend verbrannt wurden. Ein weiteres Jahr dauerte es, bis im Wald von Schaschkowa ein Gedenkstein an der Stelle aufgestellt wurde, wo ab 1943 ein Krematorium stand. Dabei wies an dem Ort, an dem die meisten Menschen – unter ihnen Juden aus Deutschland, Österreich sowie Tschechien und der Slowakei – starben, nämlich im Wald von Blagowschtschina, bis zum Beginn des neuen Jahrtausends außer einem kleinen Gedenkstein von 2002 nichts darauf hin, dass dort so viele Menschen ermordet wurden. Im gleichen Jahr brachten deshalb Österreicher Namensschilder von ihren ermordeten Verwandten an den Bäumen an, die bis heute dort hängen.
Für die Österreicher war Maly Trostenez mit 13.500 ermordeten Juden der größte Vernichtungsort: Ein Viertel aller österreichischen Juden kam nach Minsk und/oder in das benachbarte Lager. 1938 lebten rund 213.000 Juden in Österreich, davon gut 200.000 in Wien (zehn Prozent aller Wiener). Das war damals – noch vor Berlin mit etwa 160.000 Juden – die größte deutschsprachige Gemeinde.
Die Forschung vorantreiben

Zum 70. Jahrestag der Befreiung Weißrusslands (ebenso wie Russlands und der Ukraine) 2014 wurde nun der Grundstein für das bisher fehlende Gedenkzentrum gelegt, welches alle vier Orte einbeziehen und ein Ort der Erinnerung, der Trauer, des Mahnens und Gedenkens sowie der Forschung werden soll. Bei einer Tagung zum Thema im vergangenen Jahr in Minsk wurde versprochen, dass die Stadt dafür die Grundstücke zur Verfügung stellt.
Minsk wurde 1941 von der deutschen Wehrmacht eingenommen. Sofort wurde in der Stadt ein Ghetto mit rund 60.000 Juden errichtet. Dorthin wurden auch über 260 Menschen aus dem Bergischen Land deportiert. Im September 1943 wurde das Ghetto auf brutalste Art aufgelöst. Wer die Erschießungen überlebt hatte, kam in das keine 15 Kilometer entfernte Maly Trostenez und die dortigen Vernichtungsstätten.
Das Lager wurde im April 1942 eingerichtet – zunächst als landwirtschaftliches Versorgungslager für die deutschen Einheiten, in dem Juden und andere Zwangsarbeiter arbeiteten. Als das Ghetto in Minsk die vielen Deportierten nicht mehr aufnehmen konnte, kamen immer mehr von ihnen direkt nach Maly Trostenez. Ab 1942 gingen die Transporte zudem direkt in die Wälder, wo die Gefangenen erschossen oder auch vergast wurden. Dabei kamen sogenannte Gaswagen zum Einsatz, die zum Teil von außen wie Wohnwagen aussahen, von innen jedoch hermetisch abgeschlossen waren, sodass die Insassen durch die nach innen geleiteten Abgase erstickten.
Doch insgesamt ist die Geschichte des Lagers eher unerforscht. So soll es detaillierte Listen mit den Inhaftierten gegeben haben, die jedoch nie gefunden wurden. Und Überlebende, die als Zeugen hätten aussagen können, gab es kaum. Auch die unterschiedlichen Angaben zu der Zahl der Toten zwischen 60.000, 206.500 und bis zu 500.000 (dabei handelt es sich wahrscheinlich eher um die Zahl der Ermordeten in der gesamten Region Minsk) geht darauf zurück, dass mit dem Rückzug der Deutschen nach der Schlacht von Stalingrad versucht wurde, die Spuren des Grauens zu vertuschen. Dabei wurden nicht nur die Listen mit den Inhaftierten, sondern auch die Menschen in der Scheune verbrannt und die Massengräber wieder ausgehoben, um diese Leichen ebenfalls zu verbrennen. Den Opfern ihre Namen zurückzugeben, ist deshalb ein Teil der neuen Gedenkstätte. Denn gerade die Opfer aus Weißrussland, Russland und der Ukraine sind oftmals unbekannt.
Die Liste mit den Namen der Wuppertaler, von denen man weiß, dass sie nach Minsk deportiert wurden, überreichte Manfred Brusten, emeritierter Professor der Bergischen Universität, der sich seit Jahren mit dem Schicksal der Juden aus dem Bergischen Land beschäftigt, im Rahmen der Grundsteinlegung dem Bürgermeister von Minsk, Igor Karpenko.
Unter anderem wurden Klara Tisch, Margot und Bertold Falkenheim, Alfred Kann, Louis Leo Marcus und Emil Hirschberg 1941 nach Minsk deportiert – wie auf „Stolpersteinen“, die im Wuppertaler Stadtbild an ihr Schicksal erinnern, nachzulesen ist. Aber danach verliert sich ihre Spur.

Foto: Manfred Brusten

Lesen Sie weiter in der Ausgabe 19.2014, die am 27. September erscheint!